14. März 1938 - Ein Nachmittag

Es gibt eine austropatriotisch- geschichtsmythische Erzählfigur, die Österreichs "Anschluss" an Deutschland 1938 so erscheinen lässt: Das Außen der Politik bricht ein in ein bürgerliches Innen, das bis dahin in argloser Privatheit gelebt hat, und Österreich versinkt im Nationalsozialismus. Die Erzählfigur wurde noch im Fernsehdiskurs zum 70. Jahrestag des "Anschlusses" im März 2008 aktiviert; einmal war im ORF gar vom "Einmarsch der Nazis in Österreich" die Rede.
14. März 1938 – Ein Nachmittag, ein zum Found Footage umgewidmetes Home Movie, kehrt diese Erzählfigur um, lapidar und in jedem Aspekt. Wir sehen (ohne Ton) den "Einmarsch der Nazis in Österreich": Am genannten Datum fährt eine Wehrmachtskolonne durch den Wiener Vorort Hadersdorf; mit steifem Gruß-Arm im offenen Wagen wischt Hitler drei Sekunden lang durchs Bild. Sie kommen! Und sie sind auch schon da, um zu bleiben: Lachende lokale Polizisten mit Hakenkreuz-Binden, krakelige Hakenkreuze auf rotweißroten Fahnen. Nach dieser welthistorischen Minute versinkt der Nationalsozialismus neun Minuten lang in Österreich. Über längere Zeit gedrehtes Material verdichtet sich zur Antiklimax eines endlos-gemütlichen Nachmittags im Anschluss an den Anschluss – private Gesten, Tortenjausen, Lächeln im Kreise lieben Besuchs. Aus dem Bild starrt uns völkische Politik an; deren ereignishafte Durchfahrt sedimentiert sich im Alltag, nimmt dessen Anblick seine Arglosigkeit.
Der Filmemacher, steht im Endtitel, hat die Montage seines Flohmarkt-Filmfundes beibehalten. Umso irritierender wirkt vieles im Bild – als verwiese es aus der Dauergegenwart des Volksbiotops heraus: Armeefahrzeuge in jump cuts, die sofort an satirische Lambeth Walks aus dem Anti-Nazi-Kopierwerk gemahnen und doch ganz unschuldig "in der Kamera" montiert sind; die queer erscheinende kettenrauchende Glashausbesitzerin; eine Hauskatze, die pechschwarz ist. Da war was, da bleibt was, da kommt noch was: ein mysteriöser Film.
(Drehli Robnik)

Orig. Titel
14. März 1938 - Ein Nachmittag
Jahr
1938 - 2008
Land
Österreich
Länge
10 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Christoph Weihrich
Konzept & Realisation
Christoph Weihrich
Mit Unterstützung von
Innovative Film Austria
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w
Festivals (Auswahl)
2008
Jihlava Documentary Film Festival
Viennale - Vienna Int. Film Festival
2009
Amsterdam - IDFA, Int. Documentary Filmfestival
Rio de Janeiro - Mostra Curta de Cinema (Special Jury Award)
2010
Buenos Aires Festival Int. de Cine Independiente BAFICI