Qvid Tvm

Nach der Tour durch den brennenden Palast (Burning Palace, 2009) führt uns Mattuschka in ein Etablissement der fantastischen, aber gleichzeitig typisch österreichischen Art: wenn – früh im Film – die Hausherrin ihre Köchin darauf hinweist, dass ihre Histaminunverträglichkeit nur eine von vielen Leiden ist, erahnen wir dass uns der Film mit dem so rätselhaften Titel freudianisch geschulte Blicke in neurosengebeutelte Seelen erlauben wird. Man befindet sich in einem Gebäude mit vielen Zimmern, die von der (Internet)-Parntersuche-besessenen Hausherrin an vorwiegend künstlerisch tätige ExzentrikerInnen vermietet wird: an den masochistischen Kunsthistoriker, die musizierenden Zwillinge, den dubiosen Eigenbrötler, die von Michelangelo inspirierte Performancetruppe. Für uns ZuschauerInnen wird dieses Haus der Kunst erfahrbar über den Blick von „Gucki“, der barfuß durch die Zimmer streunenden Tochter der Herrin, deren Blickeslust auch mal in handfeste Fleischeslust umschlägt, stets die Körperbeherrschung der Tänzerin bewahrend. In wunderbaren Elegien zeigt Mattuschka ein künstlerisches Leben ohne Spartendenken, sie entwirft in QVID TVM eine Utopie der Hingabe an die Kunst. Und zwar unter der Voraussetzung, dass die Untiefen und Macken der BewohnerInnen dieser Utopie zwar genau beobachtet aber nie verurteilt werden. Nur einer muss draußen bleiben: der zwielichtige Gallerist, dem es, dem Scheine nach, nur um betrügerische Gewinnmaximierung geht. Kunst, so will uns Mattuschka wohl sagen, die dem Markt versklavt wird, hat keinen Platz in ihrem Gebäude.

(Andrea Braidt)


Mara Mattuschkas experimenteller Spielfilm entführt sein Publikum in eine seltsame, kraftvoll bebilderte Welt bunten Lustwandels.

Gucki, die Tochter der Vermieterin, hat diesen Ort der Fleischeslust niemals verlassen und erschließt ihre Vorstellung von geistiger und körperlicher Zuwendung aus Beobachtungen des theatralen Treibens. Eine exzessiv-existentielle Parabel über die vielfältigen Wegkreuzungen des Zwischenmenschlichen - zwischen Demütigung und Bestrafung, Erfüllung und Glückseligkeit.

(film.at)


go to film´s homepage

Weitere Texte

"Qvid Tvm": Die Nachbarn treiben es schön bunt (Artikel)

Dominik Kamalzadeh, In: DER STANDARD, 8. Juli 2013


Mara Mattuschka entwirft in ihrem Spielfilm "Qvid Tvm" einen Parcours durch ein Haus mit exzentrischen Bewohnern

Wien - Die Augen würden den Bildern unsichtbare Tentakel entgegenstrecken und sich auf halber Strecke mit denjenigen der Bilder treffen, führt ein Kunsthistoriker in Qvid Tvm einmal aus. Ein Wahrnehmungsmodell des Philosophen Platon, das in Mara Mattuschkas Film nicht zufällig angerissen wird: Auch in ihrem künstlerischen Kosmos greifen Blicke, Körper und Bilder ineinander. Es geht um veränderliche Beziehungen zwischen Figuren, um die Haptik von Ausdrücken und Darstellungen, die mit starren Formen brechen und sich gerne auch einmal selbst genügen.

Mattuschka, bei Maria Lassnig ausgebildete Malerin und Filmemacherin, hat mit Qvid Tvm ihren ersten Langspielfilm (gemeinsam mit Reinhard Jud) realisiert, der mit gängigem Erzählkino freilich wenig gemeinsam hat. Schauplatz ist ein loftähnliches Gebäude, das von einer kontaktfreudigen Hausherrin (Sylvia Bra) geführt wird, die unter anderem ihre ledige Tochter Gucki (Sandra Bra) verkuppeln will. Die anderen Mieter sind allesamt handverlesen: eine SM-Dame, zockende Gangster, ein neunmalkluges Kind oder eine ganze Truppe spärlich bekleideter Tänzerinnen.

Qvid Tvm betont die Sonderstellung dieser exklusiven Wohnwelt einmal durch die Figur eines Kunstkurators - der muss nämlich draußen bleiben. Drinnen gibt es dafür viel Raum für Improvisation und Lebenskunst. Aus schrägen Kamerawinkeln folgt man einem eher lose zusammengefügten szenischen Reigen, der von Stimmübungen, über Pokerpartien mit expressiven Gesten, Sex im Freien bis zu diversen Formen von (Tanz-)Theater allerhand zu bieten hat. Gucki ist die Figur, die sich durch alles neugierig hindurchbewegt.

Qvid Tvm erreicht zwar nicht die Intensität von Mattuschkas Burning Palace - die Einzelteile bleiben hier ein wenig disparat nebeneinander stehen. Umgekehrt passt dies zu einem Haus, in dem jede Figur für sich, aber nicht ohne die anderen ihre performative Seite kennenlernt.

QVID TVM (?) – Aus der Not eine Tugend machen (Kritik)

Eine Filmkritik von Felicitas Turek in: "Passagen" zu QVID TVM, Regie: Mara Mattuschka mit Reinhard Jud, AT 2011.

Das Konzept ist erstellt, das mitwirkende Ensemble sowie die Filmcrew bestellt, das Haus für den Drehort angemietet – und dann fehlt plötzlich der Sponsor für das gesamte Filmprojekt aus. Was nun?

Vor dieser Frage sah sich Mara Mattuschka kurz vor ihrem Drehbeginn gestellt. Geplant war eine Dokumentation über die Entstehung von Alberti, einem Gelehrten der Renaissance. Der Bezug zur Renaissance war am Ende alles, was davon geblieben ist.

Innerhalb von 16 Tagen wurde dieser bemerkenswerte, schwer zu kategorisierende Spielfilm gedreht, dessen Drehbuch nur in Mara Mattuschkas Kopf – wenn überhaupt – existiert hat. Denn sie selbst vermerkt, dass sie alles im Kopf gespeichert, vorwiegend aus dem Inneren heraus und lediglich mit Skizzen und Notizen arbeite.

Eine Reihung experimenteller Aufnahmen, sei es gewesen. Die Geschichte begann praktisch vor Ort zu leben, sich zu entwickeln und seine eigene Dynamik wie Struktur zu erzeugen.

Die Fischaugen-Perspektive, wie es Gucki repräsentiert, ist auch in Mara Mattuschkas Malerei selbst zu finden und bezeichnet eine Bildsprache, die sich ebenso in ihren Filmen durchzieht. Gucki ist das Auge des Films, des Geschehens, sie sieht alles und ist gleichzeitig der Verknüpfungspunkt. Weiters ist die Ausdrucksmöglichkeit des Körpers eine der augenfälligsten Methoden, die die Geschichte und seine initiierten Emotionen verschärfen, seine Spannung heben und gleichzeitig tief empathisierend vorangehen.

So verfolgt man die auftauchenden Bilder, seine eigenwilligen Bewohner und kuriosen Besucher. Die Abstraktion scheint dabei um jede Ecke zu lauern, das Absurde ist ganz normal. Menschliche Beziehungen werden verdichtet, unterschiedliche Rollen ausgelebt, übertrieben, übersteigert.

Aus der Not eine Tugend zu machen, das ist es was Mara Mattuschka in ihrem Film QVID TVM, gemeinsam mit ihrem ebenso bemerkenswerten Ensemble und Filmteam, meisterlich geglückt ist.
Orig. Titel
Qvid Tvm
Jahr
2012
Land
Österreich
Länge
85 min
Kategorie
Fiktion
Orig. Sprache
Deutsch
Downloads
QVID TVM (Text)
Qvid Tvm (Bild)
Qvid Tvm (Bild)
Qvid Tvm (Bild)
Credits
Regie
Mara Mattuschka
Co-Regie
Reinhard Jud
Kamera
Josef Nermuth
Musik
Roumen Dimitrov
Schnitt
Mara Mattuschka
Tonmischung
Andreas Berger
Darsteller*in
Markus Kofler, Sylvia Bra, Nikola Filippelli, Jella Jost, Terese Schulmeister, Svetlana Ivanova, Leo Janeselli, Arno Schmid, Apollon Dance Company , Sandra Bra
Choreographie
Max Mattuschka
Licht
Dominik Danner
Produktion
David Zuderstorfer und Christoph Parzer NKED –, Mara Mattuschka Minus Film -
Produktionsleitung
Christoph Parzer, Mara Mattuschka
Mit Unterstützung von
Wien Kultur, bm:ukk
Verfügbare Formate
Blu-ray (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
DCP 2K flat
Bildformat
1:1,78
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
2012
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
2013
Villach, Udine, Ljubljana - K3 Short Film Festival