Das Haus meines Vaters

Das Haus meines Vaters

Ein Mann schläft im Auto. Eine Frau bringt ihm Kaffee. Ludwig Wüsts Spielfilm Das Haus meines Vaters beginnt abrupt und lässt sich Zeit zu erzählen, wie die beiden zueinander stehen, was den Mann und seinen Mercedes in der blühenden Wiese hat stranden lassen und warum er den lachenden Sommer nicht sieht.

Das Haus meines Vaters ist in Realzeit gefilmt, das heißt: Die 65 Minuten gefilmter Zeit entsprechen lückenlos dem Zeitraum, den sie darstellen. Gedreht wurde in langen Einstellungen. Gefühltermaßen gibt es kaum eine Handvoll Schnitte. Und trotzdem ist die Erzählung eine einzige große Ellipse, indem sie eine Vergangenheit umkreist, die nach und nach als Gespenst des Hauses aus dem Titel spürbar wird. Denn Andi ist in das Dorf seiner Kindheit zurückgekehrt, um mit dem Haus des verstorbenen Vaters abzuschließen – und mit allem, was sich darin abgespielt hat.
Die ruhige Handkamera zeigt die Autofahrt von Mann und Frau, den Gang durch die niedrigen, staubbedeckten Räume und das Gespräch auf der Terrasse. Dabei scheint das Bild zu atmen, wie eine zusätzliche, unbenannte Präsenz: Vielleicht lauert hier die alte Liebe der beiden, vielleicht ein Alptraum aus Andis Jugend. Martina Spitzer und Nenas Smigoc improvisieren nach einem Drehbuch von Ludwig Wüst. Ihre Körper und Blicke erzählen von zwei Wahrnehmungen, die sich auch auf engstem Raum nicht treffen: Die der Frau, deren Verliebtheit nach Jahrzehnten noch in der Hoffnung auf Fortsetzung lebt. Und die des Mannes, der viel zu sehr mit den eigenen Wunden befangen ist, um auf ihre sehnsuchtsvolle Nostalgie zu reagieren.

Das Haus meines Vaters ist ein Melo ohne Drama – und gerade deshalb so intensiv. Wüsts Film kommt mit wenig aus: wenigen Orten, wenigen Darstellern, wahrscheinlich auch mit wenig Geld. Doch von Zurückweisung und verpassten Gelegenheiten erzählt er so präzise, dass man eigene Erinnerungen zu spüren meint. Denn natürlich kennen wir alle diesen schönsten Tag des Sommers, der alles verspricht … und mit Tränen endet. (Maya McKechneay)

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Weitere Texte

Die Eigenwilligen, von Matthias Greuling, Wiener Zeitung, 15.03.2013 (Artikel)

Die Eigenwilligen

Graz. Schon beim Frühstück wird hier über Film diskutiert: Die Filmschau Diagonale, bei der am Samstag Preisgelder von mehr als 100.000 Euro vergeben werden, lockt nicht nur Grazer Publikum oder die heimische Filmbranche an, sondern auch internationale Gäste. Einige von ihnen sind Programmgestalter anderer Festivals und halten Ausschau nach geeigneten Produktionen, die sie einladen könnten. Das ist Teil des Festivalbetriebs, und mitunter der Startschuss für lange Festivalkarrieren. Es ist die Wurzel dessen, was man gemeinhin als das "österreichische Filmwunder" bezeichnet: Ohne Networking bliebe auch der beste Film vermutlich weitgehend ungesehen.

Filme wie "Talea" von Katharina Mückstein oder "Soldate Jeanette" von Daniel Hoesl stehen nicht nur dank geschickter Festivalplatzierungen (Hoesl gewann in Rotterdam) hoch im Kurs (die "Wiener Zeitung" berichtete) - sie gehören auch zu den Favoriten bei der Preisverleihung. Und sie sind ein Indiz dafür, wie uneinheitlich sich das Diagonale-Programm dieses Jahr zeigt - im positiven Sinne. Einen Megatrend gibt es im jüngeren österreichischen Filmschaffen nämlich nicht: Trotz des viel beschworenen "Wunders" sind die meisten Filmemacher hier Individualisten geblieben, die weniger "österreichische" denn vielmehr "eigenwillige" Filme machen.

Ludwig Wüst ist so ein Eigenwilliger. Seine Filme "Koma" oder "Tape End" sind Ausdruck eines radikalen Kinos, das gerne mit seiner spröden Darreichungsform spielt. Für Wüst, ein gebürtiger Bayer, der jahrelang vor allem am Theater inszenierte, sind auch seine Filme Bühnen; es gibt kaum Schnitte, sondern lange, bis zur Penetranz ausgereizte Takes. Dabei sind seine Stücke nie theatralisch oder bühnenhaft, sondern in Schauspielerführung und Dialogen zutiefst filmisch. Eine Verschränkung, die sonst selten gelingt. Bei Wüsts neuer Arbeit "Das Haus meines Vaters" aber funktioniert sie perfekt.

Zudecken der Wahrheit
Ein Mann (Nenad Smigoc) kehrt in das Dorf seiner Jugend zurück, trifft dort auf eine einstige, ihm sehr zugeneigte Schulkollegin (Martina Spitzer), die ihn durch das verlassene Haus seiner Eltern führt. Er entdeckt im heruntergekommenen Chaos allerhand, was ihn an seine Kindheit denken lässt; Erinnerungen offenbar, die ihm gar nicht gefallen. Wüst thematisiert das Hinter-sich-lassen von Vergangenheit, das Zudecken unangenehmer Wahrheiten, das Negieren von eigenen Befindlichkeiten; "Das Haus meines Vaters" ist famos gespieltes Minimalismuskino, das gerade durch seine reduzierte Handlung eine starke Sogwirkung entfaltet.

Bei den Dokumentarfilmen hat die Diagonale etliche Arbeiten im Programm, die sich mit der Normalität in Extremsituationen befassen. Barbara Eder etwa unternimmt in "Der Blick in den Abgrund" den Versuch, die Arbeit von Profilern auf ihre Alltagsrealität hin zu untersuchen. Die kriminalistische Suche nach dem Bösen setzt diese Menschen unter Druck, auch, weil ihre Tätigkeit längst zum TV-Klischee verkommen ist: Kein Genre funktioniert im Fernsehen besser als der
Krimi.

Die Normalität des Gerichtsvollziehers zeigt "Schulden GmbH." von Eva Eckert. Sie ist bei Pfändungen, Zwangsversteigerungen und Schuldnerberatungen dabei und blickt auf Fälle, die die Strenge des Gesetzes zu spüren kriegen; wer einmal in die Schuldenfalle gerät, findet nur schwer wieder heraus. Menschlichkeit, das zeigt dieser Film, hat gegen das Gesetz keine Chance.

von Matthias Greuling, Wiener Zeitung, 15.03.2013
Orig. Titel
Das Haus meines Vaters
Jahr
2013
Land
Österreich
Länge
65 min
Regie
Ludwig Wüst
Kategorie
Fiktion
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Ludwig Wüst
Drehbuch
Ludwig Wüst
Kamera
Klemens Koscher
Schnitt
Samuel Käppeli
Sound Design
Gregor Rasek
Darsteller*in
Martina Spitzer, Nenad Smigoc
Produktion
Film-pla.net
Produzent*in
Ludwig Wüst
Co-Produzent*in
Matthias Pázmándy, Anne De Boismilon
Verfügbare Formate
DCP 2K flat
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2013
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films
Karlovy Vary - Int. Film Festival
Hof - Internationale Filmtage
2014
Göteborg – Int. Film Festival
Saarbrücken - Filmfestival Max Ophüls Preis