Exhibition Talks

Wenn, wie Walter Benjamin behauptet hat, Gebäude auf doppelte Art, durch Gebrauch und Wahrnehmung rezipiert werden, d.h. taktil und optisch, dann könnte man Sasha Pirkers und Lotte Schreibers Exhibition Talks als Versuch verstehen, diese doppelte Rezeptionsweise ein Stück weit zu entkoppeln. Während auf der Tonspur vom Gebrauch der Ausstellungsräume des Tiroler Architekturforums aut die Rede ist, von den Gegebenheiten der einzelnen Räume und den Möglichkeiten, sie für eigene Bedürfnisse zu adaptieren, liefert die Bildspur fragmentarische, statische und in Schwarzweiß gehaltene Ansichten derselben Räume, die allein schon deshalb im optischen Register verharren, weil sie über die Montage zu keinem kohärenten Raumganzen verbunden werden.

Anstatt die Größe der Räume und ihre gebaute Anordnung etwa über einen Rundgang durch das Gebäude zu "erzählen", fängt die Kamera Details der Fassade und der Innenräume ein, die zum einen mit ihren klar gezogenen Linien und den vielfältigen Gelegenheiten zu Ein-, Aus- und Durchblicken von der Formensprache der klassischen Moderne zeugen, zum anderen diese Formensprache einem optischen Spiel von Licht und Schatten, von Grauwerten und Schwarzweiß aussetzen, das die drei Dimensionen des Bauwerks grafisch auflöst.

Bestand die Pointe der doppelten Rezeptionsweise von Gebäuden bei Benjamin in der Übertragung auf die Wahrnehmungsbedingungen am Ort des Kinos (Zerstreuung statt Kontemplation), scheint die experimentelle Entkopplung von optischer Wahrnehmung und taktilem Gebrauch in Exhibition Talks einer anderen Logik zu folgen. Obwohl vom Bild strikt getrennt, suchen die Möglichkeiten des Gebrauchs nach Wegen ins Sichtbare. "Normalerweise ist der Eingang hier": Zu sehen ist eine Öffnung, durch die Licht auf eine Wand fällt, während der übrige Raum im Schatten versinkt. Die Öffnung ist ein Fenster, sie könnte aber auch eine Tür sein bzw. ist sie gerade im Begriff, zu einer solchen zu werden. Von solchen Übergängen handelt Exhibition Talks: vom Offenen, vom Beweglichen und Veränderlichen des gebauten Raums.
(Vrääth Öhner)

Weitere Texte

Diagonale-Preis Innovatives Kino 2015 (Preis (Auszeichnung))

Begründung der Jury:
Die Jury freut sich den Preis für Innovatives Kino 2015 an einen Film zu vergeben, der sich mit den filmischen Grundbedingungen – Licht und Schatten – befasst und zugleich in einer beschreibenden Klarheit unterschiedliche mediale Texturen reflektiert. Die 1920er-Jahre-Bauhausstruktur eines Gebäudes bildet den formalen Rahmen für ein ironisch philosophisches Traktat über grundsätzliche Problematiken, denen medienkünstlerische Arbeiten zwischen Black Box und White Cube unterworfen sind.
Sasha Pirker und Lotte Schreibers Exhibition Talks ist ein taktiles Zusammenführen von umbautem Raum und der Idee von Kino. Ein Film, der sich in seiner klaren Struktur und in seinem formalem Ansatz wohltuend von der täglichen Bilderflut und vom Bildrauschen abgrenzt.

Jury
Siegfried A. Fruhauf (Filmemacher, AT)
Andrea Picard (Film Curator, TIFF, CA)
Ralf Sausmikat (Künstlerischer Leiter Film/Video, EMAF, DE)

DER STANDARD 23. 3. 2015 (Artikel)

Der mit dem Preis für "Innovatives Kino" prämierte Film, Exhibition Talks, ist das Ergebnis einer Kollaboration zweier Künstlerinnen, bei der sich deren stilistische Eigenheiten harmonisch ergänzen. Gegenstand der Untersuchung ist ein vom Architekten Lois Welzenbacher entworfenes Gebäude, das vom Industriestandort einer Bierbrauerei zur Ausstellungsfläche (Architekturforum Innsbruck) mutiert ist.

Sasha Pirker und Lotte Schreiber testen die Räume auf ihre Tauglichkeit. Während die Kommentarstimme in leicht mokantem Tonfall deren Vor- und Nachteile bespricht und Hinweise gibt, wie sich etwa manche Laune des Lichts korrigieren ließe, lehnt sich der Film auf der Bildebene an der Formensprache des Gebäudes an: Das Spiel aus Licht und Schatten, die strengen Linien des Baus aus den 1920er-Jahren werden durch Schwarzweißbilder akzentuiert, aber nicht jedes Detail wird entschlüsselt. Exhibition Talks lässt damit selbst Raum für Spekulationen. Wie sich mit Ausstellungsflächen "richtig" umgehen lässt, diese Frage, die in der Praxis nicht selten zu kurz kommt, tritt hier in den Vordergrund. (Dominik Kamalzadeh, Isabella Reicher, DER STANDARD 23. 3. 2015)

Die Gesichter in den Falten von Gebäuden, Der Standard 13.11.2015 (Artikel)

Die Gesichter in den Falten von Gebäuden
BERT REBHANDL
Der Standard, 13. November 2015

Die Filme von Sasha Pirker und Lotte Schreiber bringen Architektur zum Sprechen – und treten mit ihr in Dialog. Einige davon präsentieren die Regisseurinnen demnächst unter dem Titel "Film Talks" im Mumok Wien – Ein offenes Fenster, ein Vorhang weht sanft im Luftzug; eine Stimme aus dem Off spricht darüber, wie man "sich selbst in einem Raum wahrnimmt": Das sind die wesentlichen Komponenten von Sasha Pirkers Film identical. Die Pointe am Ende der vier Minuten: Der Vorhang wird nach innen geweht und gibt so den Blick frei auf ein Gebäude auf dem Gelände der Chinati Foundation in Marfa, Texas.

Dort hat der Künstler Donald Judd einen Raum für Arbeiten von sich und geschätzten Kollegen geschaffen. Und dort war Sasha Pirker 2013 Artist in Residence. Spuren dieses Aufenthalts tauchen mehrfach in ihrem Werk auf, das sich mit den Beziehungen zwischen realem und filmischem Raum, zwischen politischem Gestaltungswillen und der "Sprache" von Gebäuden befasst.

Entzifferte Utopien
Ihre vielleicht bekannteste Arbeit heißt The Future Will Not Be Capitalist. Eine Parole, die so gar nicht zu Pirkers ruhiger "Entzifferung" der Zentrale der Kommunistischen Partei in Frankreich passen will, die Oscar Niemeyer in den späten 1960er-Jahren entwarf. Die Regisseurin spürt dabei den Geist der Utopie in einer Architektur auf, die durchaus deklamatorisch ist, ohne dass der Film selbst sich zu Ausrufezeichen hinreißen ließe.

Wer "spricht", wenn wir uns die Grenzen zwischen Räumen bewusst machen? Diese Frage schwingt auch im Titel jenes Abends mit, den das Mumok den beiden Filmemacherinnen Sasha Pirker und Lotte Schreiber widmet: Film Talks. Gesprochen wird dabei über Filme, die ihrerseits sprechen, sei es über Stimmen oder durch eine Kameraarbeit, die zum Sprechen bringt, was, etwa in Lotte Schreibers Domino, als tote Materie in der Gegend herumsteht: verwitterte Betonskelette in Griechenland, die noch poröser wirken in ruckartig schwankenden Bildern. Das Medium wird zur Außenhaut der Gebäude, einer Haut, die allerdings nicht eng anliegt, sondern Falten wirft und sich in Schwingungen versetzen lässt.

2015 haben Pirker und Schreiber gemeinsam einen Film gemacht – und dafür auf der Diagonale gleich den großen "Preis Innovatives Kino" bekommen: Exhibition Talks heißt ihre Erkundung eines schlanken, hohen Innsbrucker Baus Lois Welzenbachers aus den 1920er-Jahren, der lange Jahre eine Brauerei beherbergte. Heute gibt es dort einen Kunstraum, zu dessen Besonderheiten zählt, dass die hohen Bergketten um die Stadt ganz nahe zu sein scheinen.

"Alles ist öffenbar"
Auch in diesem Film wird in mehreren Hinsichten gesprochen: Die Räume werden zugleich von einer Off-Stimme und von den Bildern erläutert, die sich am manchmal beflissenen Tonfall der "Ausstellungsrede" ("alles ist öffenbar", "wir sind gewohnt, da reinzugehen" ...) zu reiben scheinen.

Offen ist auch das Programm Film Talks - kuratiert von Madeleine Bernstorff und den Filmemacherinnen – u. a. dank eines Gastbeitrags von Christian Ruschitzka (Höhenrausch, 2015). Zudem heißt es in der Ankündigung, dass "vielleicht noch der eine oder andere" weitere Film gezeigt werden könnte. Deutlich wird solche Offenheit schließlich auch in Pirkers kurzer Arbeit The Face, einer weiteren Architekturbeobachtung.

1993 gestalteten Vito Acconci und Steven Holler die Fassade der New Yorker Galerie Storefront for Art and Architecture. Bei Pirker bekommt diese – den Bildern nach kleine – Einlassung in ein Gebäude ein "Gesicht", kommuniziert. Die Regisseurin verzichtet dabei auf einen Text aus dem Off, stellt lediglich ein Zitat der Künstlerin Birgit Baldasti voraus, in dem von einer Fantasie die Rede ist, die sich "durch den anderen" vervollkommnen lässt. Auch dies wiederum ein Motiv, das sich in der Weise wiedererkennen lässt, in der Pirker und Schreiber das Medium Film benützen.

Zeichen hinter Jalousien
Man geht wohl nicht zu weit, wenn man mutmaßt, dass die Kunstsammlung, die Lotte Schreiber in evn collection – a kind of portrait, zeigt, in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den in jeder Hinsicht offenen Raumkonzeptionen steht, die in Film Talks zu sehen sein werden: Die Arbeiten zahlreicher bedeutender Gegenwartskünstler wirken in der gedämpften Atmosphäre des Energieanbieter-Firmensitzes wie stumme Zeichen einer anderen Ökonomie, wobei Cerith Wyn Evans mit seiner auf den Situationismus bezogenen, leuchtend roten Neonarbeit In Girum Imus Nocte et Consumimur Igni (dt. Wir schweifen des Nachts im Kreis umher und verzehren uns im Feuer) vielleicht den bissigsten Beitrag zu dieser mehrfach ambivalenten, repräsentierenden Kollektion beisteuert. Schreiber filmt sie zunächst durch Jalousien hindurch, denn auch für dieses "Porträt" gilt: Ihr Gesicht zeigen Gebäude und Institutionen nicht frontal, sondern in den Falten, die zwischen den Räumen entstehen. (Bert Rebhandl, Spezial, 13.11.2015)

derstandard.at/2000025610371/Die-Gesichter-in-den-Falten-von-Gebaeuden
Orig. Titel
Exhibition Talks
Jahr
2014
Land
Österreich
Länge
9 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Downloads
Credits
Regie
Lotte Schreiber, Sasha Pirker
Konzept & Realisation
Lotte Schreiber, Sasha Pirker
Mit Unterstützung von
Kultur Tirol, Innovative Film Austria
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
4:3
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe, s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2015
Rotterdam - Int. Filmfestival
Busan - Intern Short Film Festival
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films (Diagonale-Preis für Innovatives Kino)
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
Weimar - back-up festival. new media in film
2016
Paris - Rencontres International Paris/Berlin/Madrid
2019
Helsinki - metakino Architecture Film Festival