Sea Concrete Human (Malfunctions #1)

"The vanishing of man was not mourned", heißt es am Ende.
Zugleich gilt Nietzsches Satz, dass der letzte Mensch am längsten lebt: über-lebt in hinterlassenen Aufzeichnungen. Wie die Wissenschaftlerin in einer antarktischen Forschungsstation, die das Aussterben der Menschheit überlebt und eine Zeit lang ihre Studien zu Veränderungen der Biosphäre dokumentiert hat. Ihre rätselhaften Film- und Videobilder werden von einer nach- bzw. außermenschlichen Intelligenz interpretiert. Was den Evolutionsbruch bewirkt hat – ein biologischer Kampfstoff? eine Seuche? – erfahren wir nicht; wir sehen eine Küste mit Strandgut und Betonblöcken, hören zu Phantomgeräuschen eine Computerstimme das Tagebuch der Forscherin lesen.
Alien-Archäologie als "Artificial Intelligence" – wobei Palms Anthropologie/Epistemologie Kubrick näher ist als Spielberg. Wie im Filmtitel anklingt, sieht sie den Menschen konkret: schemenhaft, als Archivspur, prekäres Konstrukt, von Zeit und Gezeiten bedingt. Der Mensch wird gewesen sein, was seine Bilderruinen entziffern lassen. Die Vergangenheit bereitet Übersetzungsprobleme: "text-to-speech-conversion"; das Aufgehen des menschlich-medialen im kosmisch-evolutionären Gedächtnis; die Überführung "gestörter" Beobachtung in düstere Erkenntnis; schließlich die Übertragung von Erinnerungspartikeln des Horror- und SciFi-Kinos in ein experimentelles Setting (dies ist ein Experimental-, kein Avantgardefilm: ein klinischer Rück-Blick).
In einer menschenleeren "région centrale" trifft die Melancholie von La Jetée anno "2001" auf Carpenters Antarktisstation, Nebel und undeutlich dastehende Phantome, auf Sounds und Sager aus Alien 1 & 2 ("Ich bekomme dauernd falsche Daten"). Wie beim frühen Cronenberg scheitern filmgewordene Testreihen am Eigensinn des Lebendigen; "memory- effects" und "ghost-images" überlagern den Willen zum Wissen, wie in paranoiden Fake-Dokus. Ein Film, der vieles andeutet und dennoch karg bleibt. Ein Foucaultscher SciFi-Thriller. Unheimlicher Vitalismus beim Tasten durchs Atmosphärische von Materie und Gedächtnis.

(Drehli Robnik)


Eine Spekulation über die Frage, was sicht- und erzählbar wird, wenn Menschen aus der Welt, aus dem Bild verschwunden sind. Sea Concrete Human ist ein utopischer experimenteller Dokumentarfilm, dessen Ausgangspunkt in der Zukunft liegt: Filmmaterialien, zurückgelassen von einer Wissenschaftlerin, die versucht hat, Symptome einer möglichen globalen Katastrophe zu dokumentieren; eine Kommentarstimme, die dieses Ereignis anhand der audiovisuellen Materialien rekonstruiert. Der Ort: eine Forschungsstation irgendwo auf der Antarktis. Landschaften und Architekturen werden zu mumifizierten Relikten ehemaliger menschlicher Präsenz. Ein Science Fiction Film.

(Produktionsmitteilung)

Weitere Texte

Pressestimmen zu Sea Concrete Human (Kritik)

Michael Palm hat mit Sea Conrete Human einen halbstündigen Science-Fiction-Film gemacht, der nicht zuletzt der dystopischen Literatur eines J. G. Ballard Reverenz erweist: apsychologisch, kühl und von rätselhafter Schönheit.

Michael Loebenstein, Falter, Wien



Ein berückend schönes Endzeit-Szenario hat Michael Palm mit seinem Science-Fiction-Kurzfilm Sea Concrete Human entworfen. Der Film besteht aus Aufnahmen einer menschenleeren Küstenlandschaft. Der Verfremdungseffekt, die geheimnisvolle, irritierende Atmosphäre entstehen über minimale Nachbearbeitungen - Zooms, in denen sich das Bild flirrend auflöst, kleine "Materialschäden" - und vor allem über die Tonspur: Die Bilder, so erfährt man von einer blechernen Frauenstimme, sind ein "audiovisuelles Gedächtnis", die letzten Zeugnisse menschlichen Lebens auf der Erde, Tagebuchaufzeichnungen einer Meteorologin, die nach dem Eintritt von "eventide" als letzte Überlebende Daten sammelt, Berechnungen anstellt und selbst nur noch schemenhaft im Bild auftaucht.

Isabella Reicher, Der Standard, Wien



Michael Palms 29minütige Erzählung Sea Concrete Human zeigt, begleitet von einer maschinell verfremdeten Stimme aus dem Off, einen Blick auf die letzten Tage der Menschheit zurück aus ferner Zukunft - eine Analyse der letzten audiovisuellen Aufzeichnungen einer Wissenschaftlerin, die zu ermitteln versucht, was durch wessen Zutun zur fast restlosen Auslöschung ihrer Spezies geführt haben.
Palm arrangiert eine Reihe menschenleerer Photographien und Bewegungsbilder einer winterlichen Küstenlandschaft, Bilder, in denen sich rätselhafte Zeichen finden, die nur fragmentarische Hinweise auf den Ablauf der Ereignisse zuzulassen scheinen: ein futuristischer Essay aus zerkratzten Schwarzweißbildern und künstlich gealterten Farbaufnahmen, ein Film, der die scheinbare Allmacht filmischer Evidenz in Unschärfe, Materialschäden und grober Körnung ironisch demontiert, ein Film der sorgsam organisierten Informationsverteilung. Chris Markers La jetée scheint ein Ausgangspunkt dieser Arbeit zu sein, eine Vorgabe, die Palm mit hohem formalen Eigenwillen und stilistischer Souveränität variiert und weiterentwickelt hat.

Stefan Grissemann, Die Presse, Wien



Michael Palms Fake-Doku Sea Concrete Human - Malfunctions #1 ist das Glanzstück des Programms. Sein apokalyptischer Film startet einen pseudowissenschaftlichen Diskurs über das Phänomen "Eventide" in der Antarktis, das eine Wissenschafterin erlebt haben soll. Eine Computerstimme bewertet die letzten Aufzeichnungen der Forscherin. Die Kombination der Bilder, die Palm an der Adria aufnahm, mit dem Ton, erweckt den Eindruck, einen gewissen Wahrheitsgehalt zu besitzen. Am Ende des Films bricht das Gefüge allerdings auf. Dass es sich hier um "Malfunctions #1" handelt, lässt hoffen, dass es weitere Folgen geben wird.

EST, Salzburger Nachrichten, Salzburg



Ein traurig-schöner Bericht aus der Zukunft, wie von einem fernen Stern auf die Leinwand gefallen. Zu Bildern von toten Landschaften und verlassener Architektur, die Erinnerungsfragmente einer fiktiven „Erzählerin“ darstellen, wird von einer Computerstimme ein wissenschaftliches Protokoll verlesen, das auf eine (nukleare?) Katastrophe hinweist. Ein mysteriöser Science-Fiction-Essay über die Grenzen der Wahrnehmung und eine Hommage an das denkende Kino.

Diagonale Festivalzeitung, Graz


Meer, Strand und Beton ergeben eine beeindruckende Szenerie der Leere.

Ray Filmmagazin, Wien


Unser Auftrag war, aus dem diesjährigen Diagonale-Programm einen möglichst innovativen Film auszusuchen und zu prämieren. Also einen Film, der eine Vorstellung davon anbietet, wie Filme in Zukunft aussehen könnten. 7 Tage und über 70 Filme später waren wir dann soweit, daß wir gesagt haben: Was ist schon innovativ.
Und dann haben wir uns – einstimmig und reinen Herzens - für einen Film entschieden, der einen Blick zurückwirft auf ein Stück Vergangenheit. Es ist ein Dokumentarfilm, den vor allem klassische Kriterien auszeichnen: die Qualität seiner Recherche, die Komplexität seiner Erzählweise und die Präzision im Umgang mit den verwendeten Bild- und Textdokumenten.
Wir vergeben den Preis also an einen wunderbaren Spielfilm, der alles hat, was es braucht, um mitzureißen: von individuellen Schicksalen, psychologischen und emotionalen Konflikten, bis hin zum alles entscheidenden Kampf um die letzte Wahrheit. Dem Film gelingt es, diese narrativen Elemente mit einer visuellen Ebene zu kombinieren, wo vermeintlich harmlose Bilder, die wir hier alle in unseren Schuhschachteln mit den Ferienfilmen vom letzten Strandurlaub haben könnten, wo solche Bilder durch ihre Montage eine neue - oder nächste Dimension eröffnen.
Wir prämieren demnach einen Wissenschaftsreport, in dem wir als Betrachter zu Besuchern einer uns fremden Welt werden, zu der uns nur das Kino führen konnte. Diese Welt für sich ist eine einzige Forschungsstation, ihre Untersuchungsgegenstände sind: Meer, Beton und der Mensch. Sea. Concrete. Human. Wir gratulieren Michael Palm.

JURYBEGRÜNDUNG PREIS "INNOVATIVES KINO", DIAGONALE 2002, GRAZ
Orig. Titel
Sea Concrete Human (Malfunctions #1)
Jahr
2001
Land
Österreich
Länge
29 min
Regie
Michael Palm
Kategorie
Fiktion
Orig. Sprache
Englisch
Downloads
Credits
Regie
Michael Palm
Fotos
Michael Palm, Claudia Leutgeb
Produktion
Hammelfilm, Johannes Hammel
Mit Unterstützung von
BKA. Kunst, Kultur Linz, Wien Kultur
Verfügbare Formate
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,66
Tonformat
Dolby Surround
Bildfrequenz
24 fps
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
2001
Wien - Viennale - Int. Filmfestwochen
2002
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films
Duisburger - Filmwoche
San Francisco - Golden Gate Award Int. Film Festival
Cork - Int. Film Festival
Denver - Int. Film Festival
Rotterdam - Int. Filmfestival
New York - Expo of Short Film & Video
2003
Zürich - VIDEOEXperimental; Video & Film Festival
Tampere - Film Festival