Trifter 1

Eine langsame Fahrt entlang eines Waldes, der an einer kleinen Geländestufe im Bildvordergrund abbricht. Über geschnittenen und umgefallenen Stämmen, totem Ast- und Wurzelwerk, aufgewühltem Erdreich und trockenen Gräsern recken sich schlanke Nadelbäume empor und defilieren, den Raum bis in eine undurchdringliche Tiefe hinein strukturierend, aneinander vorbei. Der scheinbare Naturalismus hält nicht lange vor. Etwas stimmt nicht an diesem Bild, an dieser Bewegung. Im Hintergrund beginnen sich Stämme in die Horizontale zu dehnen. Wurde hier digital nachgebessert? Der Idylle künstlich Effekt verpasst? Keineswegs. Vielmehr stellt sich das Bild in seiner Gesamtheit als künstliches heraus, dessen Realismus als Resultat aufwändiger Rekonstruktion.

Mit einem selbst geschriebenen Programm hat Rainer Gamsjäger die (vertikalen) Bildzeilen seiner Aufnahmen neu sortiert und so den Zeitverlauf in den Raum des Einzelbildes verlegt. Dieses ist nun aus kleinsten (einen Pixel breiten) Schnipseln hunderter, ursprünglich aufeinander folgender Bilder zusammengesetzt. Das ergibt keine phantastischen oder abstrakten Gebilde, sondern die spezielle Versuchsanordnung zielt - paradoxerweise - auf eine Simulation des Ausgangsmaterials: Wir sehen eine langsame Fahrt entlang eines Waldes. Doch Gamsjägers hybride Bilder sind hinterhältig. Vorder- und Hintergrund verhalten sich "verkehrt" zur Erfahrung. Nahes wird komprimiert, Fernes gedehnt, und vor allem wird eine unmögliche Bewegung generiert: Ein Auseinanderdriften in entgegen gesetzte Richtungen, das aus der lateralen mitunter eine Drehbewegung macht. Zumindest letztere ist das Produkt konditionierter Wahrnehmung, der Versuch, das logisch Unmögliche ins realistische Schema zurückzuholen. TRIFTER 1 zerrt an den Synapsen. Eine Einübung ins Digitale.

(Thomas Korschil)


Rainer Gamsjägers Video Trifter 1 scheint auf den ersten Blick einfach strukturiert. Die Kamera fährt langsam und gleichförmig einen Waldrand entlang, man sieht ins Innere des Waldes, scheint also Vertrautes, gar Idyllisches zu sehen. Jedoch verhalten sich Vorder- und Hintergrund im zeitlichen Verlauf nicht in erwarteter Weise, sondern geradezu paradox zueinander. Verzerrungen und Verschiebungen zwischen unterschiedlichen räumlichen Tiefenschichten bestimmen das Geschehen. Sie scheinen von nonkausalen Wirkungszusammenhängen bedingt, die nach einer sich nicht erschließenden Logik das Visuelle überformen. Die optischen Gesetzmäßigkeiten, auf denen Natur- bzw. Wirklichkeits-repräsentation mittels Video gemeinhin basiert, sind innerhalb dieses Bildsystems ausgehebelt. Die gewohnte Darstellung von Raum und Zeit erweist sich als auf Konventionen basierendes Wahrnehmungsraster, das längst schon dem Sehen vorgeschaltet ist. Nicht das Dargestellte im Video, sondern das die Sichtbarkeiten regulierende Dispositiv wird auf diese Weise zum Thema.

Das eingangs so stimmig wirkende Erscheinungsbild des Waldes folgt realiter nicht der Natur, sondern einer gezielten, programmierten Dekomposition des Bildkontinuums: Gamsjäger zerlegt das digitale Bild in kleinste Bestandteile, in Pixelzeilen, und sortiert diese mit einem eigens geschriebenem Programm neu. Die Einzelbilder werden hierfür zu einem imaginären Bildkubus angeordnet. Der Künstler vermag auf diese Weise die laufbildbasierte Akkumulation des Zeitlichen aufzuheben und die Zeitlichkeit in eine räumliche Dimension zu übersetzen. Die Sukzession der Ereignisse wird in die Simultanität diskreter Zeitlichkeiten der einzelnen Frames transferiert. Somit wird weniger eine Fahrt entlang eines Waldstücks sichtbar als vielmehr die von Gamsjäger programmierte, virtuelle Fahrt durch das imaginär gestaffelte Schichtenbild hindurch.

Das Videobild wird dadurch einer doppelten Dekomposition unterzogen: Einerseits des Räumlichen, der zentralperspektivischen Darstellung und der damit einhergehenden Tiefenschichtung, andererseits der Zeitlichkeit des Bewegungsbildes: Der Künstler setzt jene Logik, die das Videobild kausal mit dem gefilmten Geschehen zu verknüpfen scheint, außer Kraft zugunsten eines Zeitbildes, das sich hier, nach impliziten, programmbasierten Routinen, in der Zeit prozessual fortschreibt. Das Motiv ist in dieser chronoästhetischen Perspektive weniger der Wald, sondern der Stream selbst, die Dauer des videographischen Ereignisstroms.

Das Naturschöne wird auf diese Weise zum Rohmaterial. Der Wald fungiert lediglich als Chiffre für Natur, steht für die Vorstellung einer Entität, die sich autopoietisch reproduziert. Mit dieser Idee geht die der Authentizität der Erfahrung sowie die Vorstellung der Unverstelltheit des Blickes einher: Die Abbildung eines derartigen Waldes ließe noch auf ein intaktes, stabiles Repräsentationsverhältnis von Bild und Wirklichkeit hoffen. Gamsjägers Video zeigt eine mediale Erscheinung unbestimmbaren Ursprungs, ein Signifikant ohne Signifikat. Dieser Wald ist ein Visuelles, das mit Sichtbarkeit im Sinne von optischer Repräsentation nichts mehr zu tun hat. Hier geht es nicht mehr um Widerspiegelung einer Wirklichkeit, es geht „um Effekte (einer Karte ohne reales Reich): Effekte der Schrift der Maschine, die über diese Effekte unser Begehren affiziert". Der Wald in Trifter 1 spiegelt in diesem Sinn nicht Natur, sondern den hermetischen Raum seiner eigenen Medialisierung wider. Beide, Wald wie auch die programmierte Mediosphäre Gamsjägers, sind uneinsehbar, unzugänglich und somit unheimlich. Diese Analogie von Wald – als Figuration eines systemisch geschlossenen, „natürlichen“ Raumes – und medialem Datenraum lässt weder Wald noch Medium, sondern vielmehr ein abstrakt Unheimliches, das an den romantischen Topos des Erhabenen erinnert, als ideengeschichtliche Folie der akzidentiellen und dezentrierten Bildräumlichkeit in Trifter 1 erscheinen.

(David Komary)

Orig. Titel
Trifter 1
Jahr
2008
Land
Österreich
Länge
8 min
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Kein Dialog
Downloads
Trifter 1 (Bild)
Trifter 1 (Bild)
Trifter 1 (Bild)
Credits
Regie
Rainer Gamsjäger
Konzept & Realisation
Rainer Gamsjäger
Ton
Rainer Gamsjäger
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
2008
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films
Linz - Crossing Europe Film Festival
Vila do Conde - Festival Internacional de Curtas-Metragens
Marseille - RISC Rencontres Int. Sciences et Film
2009
Jeonju - International Film Festival
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Paris - Némo Festival
Berlin - Transmediale (Festival for digital art)
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
Wroclaw - WRO-International Media Art Biennale
Copenhagen - cph:dox, Intl Documentary Film Festival
2015
Ulan Bator - Golden Reel International Underground Film Festival