EMBARGO

"General Dynamics European Land Systems Steyr": Gegen Ende von Johann Lurfs EMBARGO erscheint diese Aufschrift im Bild. Der Film hat einen vielsagenden Titel; ihm eilt die Info voraus, dass es um Standorte von Waffenindustrie geht. Von vornherein gefordert ist also ein suchender Blick – den das räumliche Arrangement des Films dann in paradoxe Texturen einfaltet.
Das Bild ist im Paranoia-Modus zu lesen. Andere Lurf-Filme zeigen eine postmoderne Mehrzweckhalle (Picture Perfect Pyramid) oder eine Torpedo-Testanlage (Reconnaissance) so, als wären sie mysteriöse Tempel; EMBARGO macht nun in Scheinwerferlicht getauchte Industrie-Container und -Fassaden mit kargen Beschriftungen zu unheimlichen Anlagen mit enigmatischen Inschriften.
Im Bereich der Geopolitik meint das Wort "Embargo" meist Verbote von Waffenexporte in Krisen-Länder. Europäische Firmen umgehen Embargos oft, durchaus mit System. "European Land Systems." Eine Traditionsmarke und -Location österreichischer Waffenproduktion: "Steyr", auch im Steuern militärischer Optik versiert – "Camcopter S 100 unmanned air system" lautet eine andere Inschrift in EMBARGO. Sie benennt eine Drohne. Eine Drohne gibt Einblicke in Orte, für die ein Wahrnehmungsembargo gilt; sie dient dem aufklärenden Beobachten, der "Reconnaissance." Beobachten heißt hier Test, setzt den Bild-Raum prüfend unter Stress – umzäunte Orte der Waffenindustrie ebenso wie unser Wahrnehmen dieser Orte.
EMBARGO montiert Ansichten in einem umfassenden Kräftespiel – "General Dynamics" – der Bewegungsirritation. In Gesten, die der Techno-Score von Jung an Tagen mitvollzieht, führen Fahrten Räume vor, buchstäblich: Erst ist da eine Mikrobewegung in starrer nächtlicher Totale, die wie ein Suchbild anmutet, dann Überstürzung im Bildablauf bis zum Grad der Explosion, die Vorder- und Hintergrund auseinanderreißt.
Wer mit Filmkritik zu tun hat, kennt "Embargo" auch als ein Wort, das sich auf Rezensionssperrfristen, zumal bei spektakulären Großproduktionen, bezieht. Diese Art von Embargo ähnelt dem "Spoiler Alert" so wie Lurfs Industriefilme unversehens Gemeinsamkeiten mit Dynamiken von Mindgame- und SciFi-Filmen des Industriekinos aufweisen. EMBARGOs Musik erinnert an Vertigo. Nach dem Beobachten kommt der "rush"; der Hintergrund rast vorbei – als würden Aliens oder andere Riesenmächte die Geheimgebäude hinter dem Zaun verschieben. (Drehli Robnik)


Der Titel EMBARGO ist bewusst zweideutig gewählt, denn einerseits unterliegen viele mögliche Märkte für die Waffenindustrie einem Embargo, andererseits ist diese, um in Ruhe arbeiten zu können, darauf angewiesen, dass nach Möglichkeit ein Informationsembargo in eigener Sache wirksam wird. Waffenfirmen sind nicht gern in den Medien.(Johann Lurf)

Der Titel EMBARGO flackert zu treibendem Gaming-Soundgewitter. Wie ein Widerpart zur Sanftheit der folgenden Kamerafahrten und Perspektivenverschiebungen verharrt die Tonebene den ganzen Film lang in Unruhe und verleiht dem Gezeigten eine Aura der Fiktion. Mittels ausgeklügelter Aufnahmetechnik nähert sich Johann Lurf mehreren österreichischen Rüstungsfirmen an – genauer gesagt deren architektonischer Oberfläche: dem aus der Distanz Sichtbaren, das sich den geschäftlichen Informationsrestriktionen widersetzt. In gestochen scharf fotografierten Bildern haucht Lurf dem Komplex Leben ein: Ebenen verschieben sich geisterhaft, bunte Signallichter glühen kontrastsatt. EMBARGO ist visuelle Landnahme im nachbarschaftlichen Sperrgebiet – mitten unter uns und doch wie aus einer anderen Welt. (Sebastian Höglinger)

Weitere Texte

Diagonale 2015: Avantgarde-Rundschau, von Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 04.04.2015 (Artikel)

Ein Film, der für uns alle in der Jugend ohne Film-Redaktion zu einem Highlight des Festivals zählte. Die Unschuld der ersten Sichtung lässt Aufnahmen eines Industriekomplexes in der Nacht vermuten, der von energetischer elektronischer Musik unterlegt wird und durch visuelle Brillanz besticht. Bei intensiverer Auseinandersetzung stellt sich heraus, dass es sich bei diesem Industriekomplex um Rüstungsfirmen handelt, die Lurf auch deshalb aus der Distanz filmt, weil es schlicht keine Möglichkeit gibt, ihr Inneres zu erkunden. Das „Embargo“ des Filmemachers entpuppt sich aber als Glücksfall, denn als geübter Erforscher ungewöhnlicher Architekturen kreiert Lurf eine angemessen gespenstische Atmosphäre und spiegelt so in der Form seines Films, den Charakter dieser zwielichtigen Orte.

Diagonale 2015: Avantgarde-Rundschau, von Rainer Kienböck, Jugend ohne Film, 04.04.2015
Orig. Titel
EMBARGO
Jahr
2014
Land
Österreich
Länge
10 min
Regie
Johann Lurf
Kategorie
Essay
Orig. Sprache
Kein Dialog
Downloads
EMBARGO (Bild)
EMBARGO (Bild)
EMBARGO (Bild)
Credits
Regie
Johann Lurf
Kamera
Johann Lurf
Musik
Jung An Tagen
Verfügbare Formate
DCP 2k 3D (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85 stereoscopic
Tonformat
5.1 surround
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
Farbe
DCP 4K flat (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
5.1 surround
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2015
Rotterdam - Int. Filmfestival
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Jeonju - International Film Festival
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
Wien - VIS Vienna Independent Shorts
Hamburg - Int. Kurzfilm-Festival & No Budget
Oberhausen - Int. Kurzfilmtage
Wroclaw - New Horizons Festival
Rotterdam Architecture Film Festival
Windsor - Media City
Zagreb - 25fps Film & Video Festival
München - UnderDox, Festival für Dokument und Experiment
Olympia - Film Festival
Wiesbaden - exground on screen
Milano - Filmmakers Festival
2016
Paris - Rencontres International Paris/Berlin/Madrid
Stuttgart - Filmwinter, Expanded Media Festival
Regensburg - Kurzfilmwoche
Seoul - EXis (Experimental Film- & Videofestival)
2019
Helsinki - metakino Architecture Film Festival