2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test

Menschengesichter, Photographien aus einem Testprogramm für experimentelle Triebdiagnostik, gehen ineinander über und formen für das träge Auge des Betrachters ein universales Gesicht: Auge/Auge, Nase, Mund. Schon in Kurt Krens zweitem Film äußert sich ein hingebungsvolles Interesse für das immer andere im Ewiggleichen, bzw. für ein rhythmisiertes Spiel mit dem Material Film. Jenen, die, wie Kren einmal Hans Scheugl erzählte, zwischen den Gesichtern Adolf Hitler wiederzuerkennen glaubten, könnte man mit René Clairs Bruder Henri Chomette aus dem Stummfilm-Jahr 1925 entgegenhalten: "Filmrhythmus ist eine Potenz, die jenseits von Tatsachenlogik und Realität Visionen erzeugt, wie sie nur im Verein von Linse und Filmband zustande kommen".
(Claus Philipp)

Der Szondi-Test ist ein Test für experimentelle Triebdiagnostik, ein psychologischer Test, zu dem Photos verwendet werden. Eine 16mm-Kamera hat in der Regel zwei Möglichkeiten des Filmtransportes: Entweder wird das Laufwerk in Gang gesetzt, und der Film wird mit 24 Bildern in der Sekunde belichtet, oder jeder Kader wird einzeln belichtet. Wenn Kren von einem Objekt acht Kader aufnimmt, so drückt er achtmal auf den Auslöseknopf. Acht Kader ergeben eine drittel Sekunde. Wenn Kren also Einzelbildaufnahmen von einem Kader bis zu acht Kadern macht, wird der psychologische Szondi-Test zu einem Wahrnehmungstest.
(Hans Scheugl)

Weitere Texte

Thomas Korschil zu "1/57 Versuch mit synthetischem Ton" von Kurt Kren (Artikel)

Der Film besteht zunächst aus drei Elementen, die in ein bis fünf Sekunden langen Einstellungen regelmäßig wiederholt werden. Nach ihrer anfänglichen Präsentation (a-b-c) ist ihre Abfolge durch ein Schema geregelt (a-b-a-c), welches nur am Schluß durchbrochen wird. Die Spannung und das Klaustrophobische, die Dramatik des Films und damit die Möglichkeit seiner inhaltlichen Deutung ergeben sich nicht allein durch den Symbolgehalt der verwendeten Bilder, sondern erst durch die formale Stringenz. Diese drückt sich auch im asketischen Charakter der Aufnahmen aus, in denen die Objekte isoliert und dadurch auf eine symbolische Ebene gehoben werden sie kommt aber vor allem in der Reihung, der Serialisierung der einzelnen Elemente zur Wirkung. Die kahle Ziegelmauer ist das dominierende Element (a), welches sich konsequent zwischen die beiden anderen schiebt. In starren Einstellungen kommt sie aus einer anfänglichen Totale immer näher auf den Zuschauer zu (bzw. umgekehrt). Im Wechselspiel mit dem - nicht sofort, aber doch erkennbaren Revolver, der klein und am unteren Rand eines sonst völlig schwarzen Bildraumes direkt in die Kamera gehalten wird (b), baut sich eine bedrohliche Spannung auf, die nach einer Lösung verlangt. Der rhythmische Einsatz des direkt in den Film gekratzten Lichttones, der als rohes Knattern und Krachen hörbar wird, unterbrochen von stillen Phasen, unterstreicht noch die Dramatik.
Nehmen wir an, es handelt sich wiederum um eine Geschichte, die in der ersten Person erzählt wird, erkennen wir folgerichtig, daß Kren den Revolver gegen sich selbst richtet. Unser Held scheint sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, aus der auszubrechen ihm nicht allzuviele Alternativen zur Wahl stehen. Entweder, denkt man, muß er die Mauer, die immer mehr zu einem Symbol der Isolation wird, überwinden oder sich eine Kugel in den Kopf schießen. Darin besteht der dramatische Konflikt des Films, der sich in der Montage mitteilt. Die nahen und fühlbar handkamerabewegten Aufnahmen eines Kaktus (c) strahlen etwas Intimes und Suchendes aus, was den Eindruck erzeugt, daß hier über das weitere Schicksal des Protagonisten entschieden werden soll; die beiden anderen Positionen scheinen für sich unverrückbar. (...)

Der innere Konflikt wird mit filmischen Mitteln gelöst, die Befreiung folgt nach der extremsten Nahaufnahme der Ziegelmauer in einer dreiteiligen Schlußsequenz. Zunächst sind in der längsten Einstellung des Films zu Lichtflecken abstrahierte, in der Projektion kaum identifizierbare Scheren zu sehen. Das spärliche Licht und das Verfahren der Einzelbildaufnahme ergeben Formationen von durch den schwarzen Raum auf die Kamera zufliegenden weißen Flächen und Punkten. Nach dieser Agitation kommt der Kaktus verändert ins Bild. Er ist diesmal in starkem Kontrast zu den früheren Aufnahmen aufrecht und in einer starren Kameraeinstellung vor einem hellen Hintergrund zu sehen. Der Ausbruch scheint geglückt, der Protagonist blickt ins Freie, ein quer durchs Bild fliegender Vogel bestätigt den hellen Hintergrund als Himmel. Allzu naheliegend wäre es, den stolz aufgerichteten Kaktus als phallisches Symbol zu deuten. Immerhin aber scheint er im Kontext des Films wiedergewonnene Lebenskraft und Entschlossenheit zu bedeuten. (...)

In der letzten Einstellung des Films ist noch einmal der starr gehaltene Revolver zu sehen. Auch diese Aufnahme modifiziert sich, endlich kommt es darin zu einer Bewegung, zur erlösenden Handlung. Langsam läßt die Hand den Revolver sinken, der Lauf neigt sich nach unten und verschwindet aus dem Gesichtsfeld. Der Schluß bleibt dennoch offen, wenn, zusammen mit einem abschließenden Knall des handgemachten Soundtracks, ein einzelner Kader transparenten Glasfilms - einmontiert zwischen der letzten Einstellung und dem folgenden Schwarz - flüchtig aufblitzt, gleichsam als filmisches Zeichen, welches rebelliert gegen ein Happy-end.
Thomas Korschil: Die ersten, die letzten, soweit, in: Hans Scheugl (Hrsg.), Ex Underground Kurt Kren. Seine Filme, Wien 1996

Hans Scheugl & Ernst Schmidt jr zu 2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test von Kurt Kren

Die ersten sieben Filme sind nach bestimmten Reihentechniken aufgenommen. In 48 Köpfe aus dem Szondi-Test werden Fotos von Köpfen, entnommen dem Szondi-Test (experimentelle Triebdiagnostik), jeweils 1-8 Kader lang nach einem genauen Schema gefilmt, die Reihe (je 75 Sek) dreimal gefilmt, davon einmal verkehrt. In diesem Film, im Gegensatz zu den meisten anderen, ist der Rhythmus der seriellen Montage stark spürbar; das liegt an der Starre und Gleichartigkeit der Bilder.

Michael Palm zu "2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test" von Kurt Kren

Was Kren in Versuch mit synthetischem Ton noch testet - die Möglichkeit der Veränderung in einer auf Wiederholung basierenden Struktur - wird in 48 Köpfe aus dem Szondi-Test zur Kammersonate über das menschliche Gesicht. Als Ausgangsmaterial dient eine Reihe von teilweise in grobem Moiré gedruckten Photographien aus einem Test für experimentelle Triebdiagnostik, die Kren in bezug auf einzelne Gesichtspartien zur Deckung bringt und in rasendem Stakkato animiert. Das Bild beginnt an den Mündern, bewegt sich schnittweise zurück, bis die Gesichter die Leinwand füllen, nähert sich wieder und tastet sich dann langsam und kreisförmig weiter, ohne einzelne Partien zu privilegieren.
In dieser virtuellen Kamerafahrt ist das ganze Universum der Mimik versammelt, doch die Gesichter formen sich nicht zur plastischen Landschaft, sondern bleiben flächig und psychologisch stumpf. In Köpfen sitzt keine Seele, keine Stimmung, kein Sein des Menschen und schon gar keine Geschichte, sondern nur ein Gehirn, das die maschinelle Verkettung der Bilder organisiert. Das Gesicht verweist auf keinen Körper mehr, und zumal es die Summe einzelner Affekte darstellt, die singulär nicht mehr zu erkennen sind, gerät es zum universellen Anlitz.
(Michael Palm: Which Way?, Drei Pfade durchs Bild-Gebüsch von Kurt Kren, in: Hans Scheugl (Hrsg.), Ex Underground Kurt Kren. Seine Filme, Wien 1996)

 

Orig. Titel
2/60 48 Köpfe aus dem Szondi-Test
Jahr
1960
Land
Österreich
Länge
4 min 19 sek
Regie
Kurt Kren
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Kurt Kren
Verfügbare Formate
16 mm (Originalformat)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w