Ich wandere auf einem schmalen Grat

Das dumpfe Geräusch im Hintergrund stammt nicht von Schlägen. Obwohl der monotone Rhythmus der Scheibenwischer daran erinnert. Unaufhörlich prasselt der Regen auf das Auto, in dem der junge Mann von seinem ersten Boxkampf erzählt. Heute ist es soweit, der Tag des alles entscheidenden Fights. Der wichtigste Kampf ist immer der nächste, das sagt man leichthin, doch für Ibo zählt in diesem Augenblick tatsächlich nichts anderes. Je nach Ausgang drohe ihm Größenwahn oder der totale Absturz. Eben habe er sich noch ein Video mit Muhammad Ali angesehen, beim Kampf gegen Sonny Liston sei er zwanzig Jahre gewesen. Ibo ist sechsundzwanzig und trainiert bei der Box Union Favoriten.

„Es ist schon wieder die Zeit, die dich fickt, oder?“ Vedran Kos spricht nur selten mit seinem Protagonisten, weil er weiß, dass dieser keine Zeit hat. Es sind nur noch wenige Stunden bis zum Kampf und somit der beste Moment, mit Ich wandere auf einem schmalen Grat zehn Wochen zurückzublicken: Ibo schlägt auf einen Sandsack ein, bekommt vom Trainer die Vereinsphilosophie erklärt („Das ist unsere Arbeit“) und führt mit seiner Freundin ein angespanntes Gespräch am Küchentisch. Man spürt die Nervosität, die sich breit macht und im Laufe der Tage und Wochen unaufhaltsam zunimmt. Beinahe beruhigend wirken dann jene Szenen, in denen auch die Kamera endlich wieder Bewegung aufnimmt und Ibo beim Lauftraining durch Wien begleitet, wenn der harte Sound jeden Schritt und jeden Schlag auf den Punchingball vorantreibt.
Ibos Traum ist der Augenblick des Triumphs, für den sich alles Leid gelohnt hat. Von Geld kann hier ohnehin keine Rede sein, der Stolz der Freunde und der Familie muss genügen. Der schmale Grat, von dem der Titel des Films kündet, ist jener zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen Glücksgefühl und Schmerz. Am Ende, in einer fast menschenleeren Halle, aber auch zwischen Sieg und Niederlage.
(Michael Pekler)

Orig. Titel
Ich wandere auf einem schmalen Grat
Jahr
2015
Land
Österreich
Länge
55 min
Regie
Vedran Kos
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Deutsch
Credits
Regie
Vedran Kos
Kamera
Marie-Therese Zumtobel
Ton
Johannes Preis
Schnitt
Sebastian Schreiner
Sound Design
Bernhard Zorzi
Farbkorrektur
Andi Winter
Darsteller*in
Enes Osmanovic, Ibrahim Köse, Renée Bogner
Produktion
Steven Swirko
Mit Unterstützung von
Wien Kultur, Filmakademie Wien, ÖH Wien
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2015
Jihlava - East Silver Market