Was eine Familie leisten kann

„Ich bin Sybille. Seit sechs Jahren gehe ich zur Psychotherapie. Meine Kindheit ist oft Thema. Wie soll ich über meine Kindheit sprechen, wenn ich mich wenig an sie erinnere?“ Sybille Bauer nähert sich dieser Herausforderung als Filmemacherin dennoch an. Gefasst schildert sie prägende Ereignisse aus frühen Lebensjahren oder lässt sie in Form eines Schulaufsatzes von einer jungen Mädchenstimme wiedergeben. Über das Voice-over vergegenwärtigt sich Vergangenes, Vergessenes, Verdrängtes in fragmentarischen Momentaufnahmen, die sich zum Bild einer dysfunktionalen Familie verdichten: eine überforderte und überfordernde Mutter, die den Schein der perfekten  Familie um jeden Preis wahren will, ein zurückgezogener, geistig wie körperlich verfallender und schließlich gänzlich abwesender Vater und ein Kind, das sich für die Liebe der Eltern wortwörtlich verbiegt und zahlreiche chronische Krankheitssymptome entwickelt.

Die unauflösliche Beziehung von Psyche und Physis manifestiert sich auch visuell, wenn die traumatischen Erinnerungen mit traumhaft-assoziativen, virtuos ausgeleuchteten, schwarz-weißen Zeitlupenaufnahmen von (vorwiegend) weiblichen Körpern und Gesichtern verknüpft werden: Schöne, auf den ersten Blick makellose Oberflächen, die im Kontext des Erzählten rissig werden und auf darunter verborgene Spuren von Schmerz, Disziplinierung und Manipulation verweisen.

Die Filmemacherin bringt sich – im Unterschied zu früheren Arbeiten, die Lebens- und Leidensgeschichten ihrer Familie thematisierten – diesmal mit ihrer persönlichen Erinnerungsarbeit noch radikaler selbst ins Spiel, ohne jedoch in exhibitionistischer Selbstpreisgabe sich oder ihre Eltern vollends zu offenbaren. Fragmentarisch erzählend, andeutend, eine geschlossene Narration verwehrend gelingt Sybille Bauer die abstrahierte Übertragung ihres individuellen Schicksals. Über das Selbst- und Familienporträt hinausgehend reflektiert das filmische Essay eine weibliche Erfahrung von Kontrolle und Unterwerfung, die vor allem über Körper und Sprache ausagiert und verhandelt wird. (Michelle Koch)

Orig. Titel
Was eine Familie leisten kann
Jahr
2021
Land
Österreich
Länge
30 min
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Sybille Bauer-Zierfuß
Drehbuch
Sybille Bauer-Zierfuß
Kamera
Judith Benedikt, Klemens Koscher
Montage
Lisa Zoe Geretschläger
Mischung
Eric Spitzer
Dramaturgische Beratung
Gabriele Mathes, Constantin Wulff, Mario Schlembach
Visual Effects
Matthias Halibrand
Farbkorrektur
Lee Niederkofler
Stimme
Emma Dittlbacher, Sybille Bauer-Zierfuß
Produktion
Sybille Bauer-Zierfuß
Aufnahmeleitung
Emma Berger
Produktionsassistenz
Emma Berger
Sprachaufnahmen
Wolf-Maximilian Liebich
Mit Unterstützung von
Otto Mauer Fonds, Wien Kultur MA 7, BKA - innovative film
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
5.1 surround
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2021
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Linz - Crossing Europe Film Festival