Der tote Winkel der Wahrnehmung

„Der folgende Film beabsichtigt in keinster Weise die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Es existieren keine Echsenmenschen, die die Menschheit durch eine verdeckte Hybridisierung unterwerfen wollen.“ Mit diesem Warnhinweis beginnt Michael Gülzows Der tote Winkel der Wahrnehmung, um im Folgenden unter fachgerechter Verwendung verschwörungstheoretischer Logik die Unterwerfung der Menschheit durch Echsenmenschen zu dokumentieren.

Gülzows Found Footage führt zurück ins Jahr 1996, wo die Handlung nicht ganz zufällig am 1. April einsetzt. Zwei MiniDV-Tapes dienen als Beweisstücke, auf denen die Ermittlungen der beiden TU-Studentinnen Alina und Flora zu paranormalen Phänomenen aufgezeichnet sind. In Interviews mit kiffenden Aluhutträgern, einer skeptischen Soziologieprofessorin oder dem Autor des ultimativen Echsenverschwörungs-Beststellers häufen sich die Indizien ebenso wie beim Wühlen in den Archiven der Popkultur, untermauert durch unanfechtbare Koryphäen wie William Shatner und John Carpenter: Die Reptiloiden sind längst unter uns. Sie waren schließlich schon beim Stapellauf der Titanic dabei, wie man im Schwarz-Weiß-Spielfilm-Klassiker A Night to Remember entdecken kann.

Fiktion wird also zum Dokument und umgekehrt: Indem er sich die Methoden von Verschwörungstheorikern aneignet, macht Gülzow seine einfallsreiche Mockumentary auch zum Thriller. Eine Komödie ist sie sowieso, nicht nur wegen der liebevollen komischen Details an allen Ecken und Enden (die Heldinnen sind gespannt „wie ein um einen Elefanten gespanntes Gummiband“). Das Echsengeheimnis kann nur lösen, wer alle Folgen der Sitcom ALF gleichzeitig abspielt – ein erhabenes Spektakel, für das man 1996 allerdings erst einmal 101 Bildschirme und Videorekorder beschaffen muss! So ist Der tote Winkel der Wahrnehmung ironischerweise auch ein großer Historien- und Ausstattungsfilm, der praktisch ohne Budget auskommt: Das garantiert nicht hochauflösende MiniDV-Material sorgt für herrliche Retro-Ästhetik samt Pixelkaskaden, in die Gülzows Erzählung mit Verneigung vorm Blair Witch Project abtaucht, um den Wahnsinn auszukosten, der seither durch die Internet-Ära explodiert ist: Die Verschwörungstheorien fallen auf fruchtbaren Boden im Zeichen des neuen Rechtspopulismus, den im Film damalige Radiointerviews mit Jörg Haider* beschwören. (Christoph Huber)

Orig. Titel
Der tote Winkel der Wahrnehmung
Jahr
2025
Land
Österreich
Länge
79 min
Kategorie
Mockumentary
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Michael Gülzow
Kamera
Arthur Summereder
Schnitt
Michael Gülzow
Ton
Francesco Tacoli
Sound Design
David Seitz
Produktion
Michael Gülzow
Darsteller*in
Anna Rieser, Jakob Egger, Philipp Hauß, Anke Zillich, Julia Posch, Hannes Bickel
Kostüme
Sabine Ebner
Produktionsleitung
Katharina Rusch
Szenenbild
Theresa Kraus
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2025
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films (Preis für Innovatives Kino)