Vulkanologie der Emotionen
In dem Projekt Lage vor Ort (1970) betritt das Publikum die Galerie und sieht auf dem Monitor das Bild eines Mannes, der auf der Straße im Rinnstein liegt. Eingepasst und angepasst in die Ecke, in die Fuge zwischen Straße und Gehsteig, also an die Stadtarchitektur, ist der Körper des Menschen ein Volumen. Seine körperliche Expressivität ist scheinbar auf null gestellt, aber durch den Kontext und die Konfiguration (im Rinnstein) erhält die Körperposition einen enorm sozialen Ausdruck. Ich behandelte den Körper als abstrakten, geometrischen Körper, als ein Volumen, das im Umgebungsraum verschiedene Positionen einnehmen kann. Das Dreieck des Umgebungsraumes (x, y, z-Koordinaten) übertrug ich auf den Körper selbst. Je komplexer die Position des Körpers im Raumeck wurde, umso komplexer wurde auch die Geometrie des Körpers selbst. Eine große Skala von mentalen und seelischen Emotionen und Ausdrucksweisen wurde durch die geometrischen Körperkonfigurationen in Beziehung zum Umgebungsraum produziert, von meditativ bis verzweifelt, von katatonisch bis hyperaktiv. Wie ein Logiker wollte ich eine Axiomatik des Ausdrucks von Emotionen liefern, eine Äquivalenzklasse körperlicher Stellungen und seelischer Inhalte, also von falsifizierbaren Ausdrucksweisen. Ich wollte eine objektive, evolutionäre Grundlage zur Theorie der Physiognomie und der Expression schaffen. Die Körperpositionen folgen nur den Regeln der Geometrie und drücken nichts aus. Der emotionale Ausdruck entsteht nur durch unsere Interpretation, die auf einer Erbschaft unserer animalischen Vorgänger beruht. Je komplexer seine Geometrie, umso stärker die Expression des Körpers. Raumpositionen bilden das Alphabet der Körpersprache. Raumgeometrie ist Gefühlsexpression: Je komplexer die Raumposition, desto komplexer der Gefühlsausdruck. (Peter Weibel)
Vulkanologie der Emotionen
1971 - 1973
Österreich
7 min 18 sek