handbikemovie

In regelmäßigem Takt tauchen die Bremskabel von Martin Bruchs Handbike - dessen Lenker zugleich als Antriebspedal dient - am unteren Bildrand auf und senken sich wieder. Eine unendlich sich wiederholende Kurbelbewegung, die nicht nur das Fahrzeug, sondern den Film selbst voran zu tragen scheint.
Seit 1992, als bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, bewegt sich Martin Bruch mit Hilfsmitteln fort. Anfangs auf einem Tretroller, nun, wo dies nicht mehr möglich ist, vorwiegend mit dem Handbike. Zwischen 12/2001 und 12/2002 filmte er seine Fahrten durch Städte und über Land mit einer Helmkamera, deren Bilder und Töne zumindest eine Annäherung an seine eigene Wahrnehmung liefern. So befinden sich die Zuschauer seines Dokumentarfilms handbikemovie inmitten eines Staus auf dem New Yorker Times Square, zwischen Straßenbahn- und PKW-Spuren auf der Wiener Ringstraße oder neben einem Doppeldecker im dichten Verkehr von London. Rings herum vibrieren Motoren, rauschen Reifen auf dem Asphalt, klingt gelegentlich Musik aus den Boxen eines vorbeifahrenden Cabriolets.
Keiner der Wege, die Martin Bruch in seinem Film nimmt, ist für ihn, d.h. für ein Fahrzeug wie das seine gemacht. Als Fahrer eines dreirädrigen Handbikes darf er offiziell weder auf Radwegen noch auf Autobahnen unterwegs sein. Indem er diese Wege trotzdem befährt, widersetzt er sich einer, uns mittlerweile selbstverständlich gewordenen Reglementierung des Raums.
Formal ist handbikemovie klar strukturiert: 56 Einstellungen, in harten Schnitten aneinandergereiht, verbunden nur durch die leitmotivische Helmkamera-Subjektive und die kurbelnde Vorwärtsbewegung. Eine konzeptuelle Studie über Bewegung, Anstrengung, Dauer, die so etwas wie eine Narration im klassischen Sinn nicht nötig hat.

(Maya McKechneay)


Seit fünf Jahren bin ich als Handbike-Fahrer täglich und bei jeder Witterung unterwegs. Bisher habe ich bereits 18.666 km „er-fahren“, zwischen meist geschlossenen Fahrzeugen mit nicht erkennbaren Insassen hinter spiegelnden Scheiben; als langsamer Teilnehmer, besonders bei Steigungen, aber fast gleich schnell bei abschüssigen Strecken erlebe ich die Straße – eine Berg- und Talfahrt – schweigend, einsam, isoliert und amüsiert. Die Perspektive beim Handbike-Fahren, im Freien sitzend – Cabriofahrende haben ein ähnliches Gefühl, allerdings ohne körperliche Anstrengung – ist ungewöhnlich, für mich aber normal.
Die Langsamkeit (5 – 10 km/h), mit der ich mich weiterbewege, neben dem vorbeibrausenden Verkehr; die objektive Gefährlichkeit , die alle sehen, die an mir vorbeifahren; subjektiv sehe ich diese nicht, bzw. spielt sie sich hinter meinem Rücken ab. Meine Freiheit (trotz massiver Abhängigkeit von den umgebenden Menschen, überhaupt auf die Straße zu kommen) einfach überall hinzufahren, „selbständig – selbstverständlich“.
Fahren durch die Stadt, mit dem Handbike – ein Abenteuer, nicht nur rollstuhlmäßig. Abfahrten von Pässen, schnell spannend, schöne Aussichten.

Menschen treffen, Dialog
zuschauen - miterleben

Martin Bruch


Als langjähriger Besucher der Viennale sah ich viele Filme und hatte Kontakt zu einigen Regisseuren. Die wichtigste Begegnung war die mit James Benning und seiner kalifornischen Trilogie, der mir sagte: "mach´ doch", nachdem ich ihm mein Filmvorhaben erzählte. Ich sah "The Straight Story" von David Lynch, "Grand Tourismo" von Lorendana und Günter Selichar, die mich zur 1. Drehbuchfassung anregten. Eine wesentliche Ermutigung erfuhr ich durch Elisabeth Krejci und Michael Wolkenstein, die sagten auch: "mach´ doch!". Nach fünf Jahren und 15.000 km hatte ich handbikemäßig genügend „Er-fahrung“ um im Anschluß an das Projekt „Bruchlandungen“(die Fotoserie unmittelbar nach dem Sturz) das handbikemovie, als eine weitere Lebensabschnittsbeschreibung zu realisieren.
Da mein Gesundheitszustand sich nicht verbessert, begann für mich ein Wettlauf mit der Zeit. Die anfänglich kalkulierten 12 Drehtage sollten innerhalb eines halben Jahres gedreht werden. Tatsächlich zog sich die Drehzeit mit 36 Drehtagen über ein Jahr hin. Der Prototyp entstand am 24. 12. 01 bis 01. 01. 02 in Paris. Gedreht hab´ ich mit einer von Felix von Muralt am Kopf, auf eine russische Soldatenmütze geklebten / befestigten Videokamera (Sony DV 900), über einen Spiegel.
Daraus entwickelte sich die weitere Drehweise mit einer von Christoph Breuer auf einen Skihelm montierten Toshiba 3-Chip Minikamera und 2 Schoeps Mikrofonen von Bernhard Schmid befestigt. Die einzelnen Drehabschnitte und Drehorte hingen davon ab, wann wer wo Zeit hatte. Gedreht wurde bei jeder Witterung. Wasser auf der Optik bedeutet eine völlige Durchnässung aller Beteiligten. Mein Drehteam bestand aus zwei ( ich und mein ständig wechselnder und neu einzuschulender persönlicher Assistent für alle Belange) bis zu 5 Personen für notwendige Absperrungen. Ich darf auf Radwegen und Autobahnen, sowie auf der Schrägrampe im Allgemeinen Krankenhaus Wien nicht fahren. Trotzdem muß ich von A nach B und ins AKH gelangen. Der daraus resultierende Gefahrenmoment auf belebten Großstadtstraßen sowie kurvenreichen Bergstraßen wird im Film vermittelt. Für mich besonders anziehend ist das Befahren von Brücken. Die George Washington Bridge nach Manhattan ist ein Highway. Filmaufnahmen von Brücken sind in N.Y. verboten. Um das begehrte Brückenfahrerlebnis zu dokumentieren, habe ich diese Bestimmungen ignoriert, was mit der Androhung einer Verhaftung auf der Brückenmitte endete. Der Cop:„ No pictures on the brigde; You are crazy and I should put you into jail“. Auf der Bosporos-Brücke war ich womöglich der erste Handbikefahrer der von Europa nach Asien gefahren ist. Die Genehmigung des Statthalters einzuholen war amüsant-abenteuerlich und kostete mich einen wertvollen Drehtag. Auf der Reichsbrücke und Floridsdorferbrücke fuhr ich ohne Genehmigung.
Kopfsteinpflaster und Schotter lösten Spasmen aus die mich bei der Dreharbeit behinderten und zu Bildverwackelungen führten. Der Rallyewagen am Anfang und am Schluß ist eine Metapher für den allgemeinen Verkehrswahnsinn, den ich handbikekurbelnd erlebe.

(Produktionsnotiz)

--> DVD zu erwerben unter: www.handbikemovie.com oder bei sixpackfilm

Orig. Titel
handbikemovie
Jahr
2003
Land
Österreich
Länge
99 min
Regie
Martin Bruch
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Deutsch, Englisch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Martin Bruch
Drehbuch
Martin Bruch
Kamera
Martin Bruch
Co-Autor*in
Reinhilde Condin
Musik
Karl Ritter, Harry Pepl
Schnitt
Cornelia Schöpf
Ton
Martin Bruch
Sound Design
Torsten Heinemann
Mit Unterstützung von
BKA. Kunst, CineTirol, Land Tirol, Stadt Innsbruck, ORF Film/Fernseh-Abkommen, Wien Kultur MA 7, Stadtamt Hall in Tirol
Verfügbare Formate
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
Dolby Digital
Bildfrequenz
25 fps
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,33
Festivals (Auswahl)
2003
Viennale - Vienna Int. Film Festival (Lobende Erwähnung)
2004
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films (Grosser Diagonale-Preis)
Rotterdam - Int. Filmfestival
Athens - Film Festival
Jihlava Documentary Film Festival
Leeds - Int. FilmFestival